Nik Nowak baut Klangskulpturen, die wie Militärfahrzeuge aus einer dystopischen Zukunft aussehen – oder aus Mad Max. „The Soundpanzer“ und seine aktuelle Arbeit „The Mantis“ sind mobile Soundsysteme, deren einzige Waffe der Schalldruck ist.
In unserem Interview erklärt der Künstler, wie er dazu kam, diese ungewöhnlichen und beeindruckenden Klangskulpturen zu bauen, was ihn motiviert und inspiriert und auch, wie TRAKTOR ihm dabei geholfen hat, seine aktuelle Arbeit „The Mantis“ umzusetzen.
Du arbeitest als freischaffender Künstler, Musiker und DJ – richtig?
Eigentlich bin ich bildender Künstler. Ich habe Freie Kunst bei Lothar Baumgarten studiert und einen Abschluss in Malerei, Bildender Kunst und visueller Kunst. Mit der Bezeichnung „Musiker“ konnte ich mich lange nicht anfreunden. Ich habe viel mit Field Recordings, Sampling und Klangcollagen gearbeitet, bis das irgendwann eher nach Musik klang, oder sogar wie ein Soundtrack. Trotzdem verstehe ich mich immer noch eher als Künstler, was in meinem Studio offensichtlich wird. Hier stehen viele Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen. Installationen, Sounds und Musik waren aber immer zentrale Elemente für mich. Die Form meiner Kunstwerke, die ich seit 15 Jahre erschaffe, ging immer mehr in die Richtung Klangskulptur, was ja auch eine eigene Kunstform ist.
Die Tontechnik lässt sich für mich nicht so leicht von den musikalischen Aspekten trennen. Manchmal baue ich Soundsysteme, die auf besonderen Aufnahmetechniken basieren – zum Beispiel bei „Infra/Ultra“. Bei allen Projekten denke ich ich immer vornehmlich über die Lautsprecher nach und wie sie wohl klingen werden. Wenn mich dann später jemand nach einem Mixdown eines bestimmten Projekts fragt für ein anderen Medium, zum Beispiel Vinyl, ist das nochmal ein ganz anderer Schritt. Weil ich dafür meine Arbeitsweise komplett neu denken muss, damit es auch funktioniert.
Das war für mich immer eher zweitrangig, außer bei meinem kollaborativen Projekt „Schockglatze“. Hier lag der Schwerpunkt auf Clubmusik, die dann 2015 als „Warlord EP“ auch veröffentlicht wurde. Bei meinen anderen Projekt ist das Soundsystem immer sichtbar, als integraler Teil der Klangskulptur. Etwas anderes brauche ich eigentlich nicht. Die Soundsystem-Kultur ist keine Industrie im traditionellen Sinn, sie kann auch autonom funktionieren.
Du produziert also nur für den Moment, nicht für späteres Hören?
Bilder und Skulpturen sind statisch, bei Musik ist das ganz anders. Sie existiert immer in Beziehung zur Zeit. In diesem Punkt überschneidet sie sich mit der Physik – vielleicht sogar mehr, als mir bewusst ist. Während meiner Studienzeit habe ich Sound vor allem als formbares Material betrachtet. Als ein Material, das Räumen Struktur gibt und so eng an die Zeit gekoppelt ist, dass es amorph ist und nie stillsteht. Deswegen wurden für mich die Soundsysteme zur Skulptur. Sie bleiben stehen, auch wenn nichts mehr zu hören ist.
Selbst wenn es ausgeschaltet ist, hat ein Soundsystem immer noch unglaubliches Potenzial, das es zu einer mächtigen Skulptur macht. Für mich ist die Lautsprechermembran ein faszinierendes Objekt – es steckt so viel drin in diesem schwarzen Loch, selbst wenn der Lautsprecher nach dem Abbau einfach auf dem Boden liegt. Und je größer die Membran, desto größer der Effekt! Deswegen habe ich bei „The Mantis“ auch einen 21″-Subwoofer eingesetzt. Es ist einfach umwerfend, wieviel Luft solch ein Lautsprecher bewegt. Außerdem kann man den schwarzen Kegel als Projektionsfläche für unzählige musikalische Codes betrachten. Dieses Potenzial fasziniert mich.
Was bedeutet Klang für dich?
Klang hat mich schon immer komplett in den Bann gezogen. Selbst in der Schule war das so. Es fiel mir schon damals schwer, mich auf visuelle Dinge zu konzentrieren, weil ich von Klängen abgelenkt war. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Früher fanden direkt vor meiner Studiotür regelmäßig Auto-Tuning-Treffen statt, und die Bässe vibrierten dann immer durch mein Studio. Ich arbeitete währenddessen an Grafiken und bemerkte, wie sehr mich diese Frequenzen vereinnahmten und mein Denken beeinflussten. Das war der Punkt, an dem ich mehr über das Phänomen der Psychoakustik wissen wollte, und anfing zu versuchen, mit einem Sampler zu komponieren. Ich hatte eine MPC 1000, einen Waldorf Pulse und Fruity Loops und machte Soundscapes. Nur für mich – ich wollte in einen Zustand einzutauchen, in dem ich mich auf meine Grafik-Projekte konzentrieren konnte. Irgendwann fiel mir auf, dass meine Soundscapes etwas gemeinsam hatten – der Schwerpunkt lag immer auf den Bassfrequenzen. Das brachte mich dazu, Lautsprecher zu bauen. Gute Subwoofer waren für mich als Student zu teuer, und ich wollte Lautsprecher, die meine Kompositionen wirklich abbilden können. Akustisch waren sie bestimmt nicht akkurat, aber ich habe sie wie Instrumente gebaut und mit ihnen Musik gemacht. Dabei habe ich gar nicht an Popkultur gedacht. Ich verstand sie eher als Gesamtkunstwerk – gemacht aus Sounds. Sounds als Skulptur.
Was fasziniert dich an Bässen und der Soundsystem-Kultur?
Ich komme aus Mainz und kam schon früh mit der Techno-Szene in Frankfurt in Kontakt. Gleichzeitig spielten HipHop, Reggae und Dancehall für mich eine wichtige Rolle – in der Gegend gab es viele US-Kasernen. Mit 13 war ich auf einer Dub-Reggae-Nacht – das war wie eine Erleuchtung. Zwar gab es kein amtliches Jamaica-Soundsystem, aber sie hatten sich viel Mühe gegeben, etwas ähnlich Ehrliches zu bauen. Das hatte eine therapeutische Wirkung. Ich konnte mich komplett in den Bässen und Drums verlieren. Die physikalische Energie der Lautsprechertürme gab mir das Gefühl, in der Musik zu schwimmen, als ob ich unter Wasser wäre. Das hat mich wirklich geprägt – sowas hatte ich zuvor noch nie gehört.
2015 – fast 20 Jahre später – war mein Panzer-Projekt dann Teil der Ausstellung „Jamaica Jamaica!“ in der Pariser Philharmonie, wo ich zusammen mit dem amerikanischen DJ Bassmechanic einen Dancehall-Mix kuratierte.
In diesem Zusammenhang wurde mir klar, wie sehr diese Musikkultur Teil meiner Arbeit ist. Durch meine Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung und Psychoakustik, wurden die tiefen Frequenzen immer relevanter – wegen ihrer Wirkung auf Psyche und Körper. Ich habe diesen Aspekt während meiner Studienzeit ausgiebig erforscht und bin irgendwann beim Thema der akustischen Kriegsführung gelandet. Allmählich verstand ich, wie tiefe Frequenzen auf das Mittelhirn und den Mandelkern einwirken – kurzgesagt triggert der Infraschall ein Warnsystem, das Stress und Angst auslöst. Aus evolutionärer Sicht ist dies der Grund für körperliche Reaktionen wie Erstarrung und Flucht.
An diesem Punkt wurde das Thema noch interessanter für mich. Ich fragte mich, warum ich eigentlich seit meiner Jugend in Clubs gehe und mich den extremsten Bässen aussetze. Und ich bin ja nicht der einzige – eine ganze Generation macht das. Vielleicht ist unsere Welt so laut und stressig, dass wir eine Art Anti-Stress-Methode brauchen, um wieder in Einklang mit uns selbst zu kommen. Oder wir können nur durch Antischall einen Zustand des inneren Friedens erreichen. Solche Gedanken sind nicht zwangsläufig notwendig für die Erfahrung, aber sie führen mich oft zu neuen Ideen in meiner künstlerischen Arbeit.
Inwieweit haben Soundsysteme historische Bedeutung und auch politische Relevanz?
Im Grunde erobert man mit Soundsystemen öffentliche Räume im Guerrilla-Stil – um Platz für Konfrontation und Diskurse zu schaffen. Im Rahmen meiner Arbeit habe ich 2014 im MARTa-Museum in Herford eine Ausstellung kuratiert, die sich mit dem weltweiten Phänomen der mobilen Soundsysteme beschäftigte. Was die zivilen Soundsysteme betrifft, laufen die Dinge immer ähnlich ab, es gibt allerdings lokale Unterschiede und Eigenheiten. Im Kern ist es eine Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. Oder, genauer gesagt, ein emanzipatorisches Projekt, das sie zu einem wesentlichen Element von Unabhängigkeitsbewegungen macht.
Einerseits erzeugt ein Soundsystem einen immateriellen Ort in der Musik, andererseits beansprucht es durch Sound realen Raum. Das finde ich faszinierend – als hätte man für bestimmte Zeit eine parallele Realität, die man wie ein Zelt aufbauen und dann wieder ausschalten kann, um sie an den nächsten Ort zu bringen, ohne dabei Spuren zu hinterlassen. In seinem Buch „The Temporary Autonomous Zone“ beschreibt Hakim Bey, wie ein Soundsystem nicht nur eine autonome Zone ermöglichen kann (wie zum Beispiel den Club), sondern auch temporär Regeln und Machtverhältnisse verändert. Kein Wunder, dass sich die moderne Soundsystem-Kultur vor allem in Jamaika entwickelte und die ganze Welt beeinflusst hat. Jamaika ist ein Ort, an dem sich eine multiethnische Gesellschaft vom Trauma der gewaltsamen Entführung aus der afrikanischen Heimat und der Versklavung durch Europa befreien und selbst heilen musste. Jamaica musste sich als Gesellschaft jenseits des eurozentrischen Charakters der Institutionen neu erfinden.
Wie kamst du auf die Ideen für den ersten Soundpanzer und „The Mantis“?
Meine Generation hat in ihrer Kindheit eine Art Gleichzeitigkeit von Krieg und Frieden erlebt. Das hinterließ einen starken Eindruck. Wahrscheinlich hat die Präsenz des US-amerikanischen Militärs in meiner Heimatstadt Mainz, wo es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und während des gesamten Kalten Krieges viele Kasernen gab, meine heutige Arbeit geprägt. Ich betrachte es als ein Privileg, in den 1980er-Jahren in Deutschland und Europa aufgewachsen zu sein – einer Zeit, in der sich vieles zum Positiven entwickelte, sich der Kalte Krieg langsam entspannte. Die Berliner Mauer fiel, Grenzen verschwanden und Europa, das früher in Ost und West getrennt war, begann in den folgenden Jahrzehnten zusammenzuwachsen. Wir waren Zeugen einer Zeit, in der es viele emanzipatorische Bewegungen gab und sich eine vielfältige, tolerante Gesellschaft entwickelte. Heute sehen wir viele dieser Errungenschaften bedroht. Wir erleben wieder eine Ära des Mauer- und Zaunbaus und der Trennung der Menschen. „The Mantis“ ist stark von den Lautsprecher-Trucks inspiriert, die das Studio am Stacheldraht im Berlin der 1960er-Jahre benutzte, um den Osten mit lauter Musik zu beschallen. Das führte zu einem echten Lautsprecherkrieg. Beide Seiten wurden mit Unterstützung der USA und Russlands mit Lautsprechereinheiten bewaffnet, die an der Mauer auf- und abfuhren, mit dem einzigen Ziel, die andere Seite zu übertönen. Ein Soundclash wie auf Jamaica? Nicht wirklich – obwohl es einige formale Ähnlichkeiten gibt, wie zum Beispiel moderne mediale Mechanismen, mit denen versucht wird, eine Gesellschaft entweder zu trennen oder zusammenzuführen, oder Grenzen niederzureißen. Dieses Motiv spielt in meiner Arbeit schon sehr lange eine Rolle, wird aber im Kontext der deutschen Geschichte noch deutlicher.
„The Mantis“ ist der aktuelle Teil deiner Reihe von Soundsystem-Skulpturen. Wie hast du technische Seite entwickelt?
„The Soundpanzer“ war mein erstes großformatiges Fullrange-Soundsystem, ich brauchte etwa vier Jahre, um es zu bauen. Am Anfang war das Performance-Setup im Wesentlichen mein Studio-Equipment: eine MPC 1000, ein Roland SP303 Sampler, ein Mixer und ein Kaoss Pad. Später kamen noch ein Roland SP555 Sampler und ein iPad mit Traktor DJ dazu. Außerdem habe ich eine Art Ventilator aus Ständern am Panzer befestigt. Als Native vor ein paar Jahren auf mich zukam, ersetzte ich die Sampler durch eine Maschine – das hat alles sehr viel einfacher gemacht. Beim Projekt „Schockglatze“ haben wir mit Maschine und dem Traktor Kontrol S8 gearbeitet. Und dank des Stems-Formats hatten wir viele neue Möglichkeiten beim Livespielen. Bei meinen eigenen Projekten habe ich nur mit dem S8 gearbeitet – vier Decks samt Remix-Sets und Stems sind für mich absolut ausreichend.
Die Entwicklung von „The Mantis“ dauerte genauso lange, aber die Installation ist viel komplexer, effizienter und aufwändiger. Die Struktur ist skelettartig, es gibt weniger Platz für Instrumente. Aber beim Mixing genügt mir ein reduziertes Setup, deswegen arbeite ich mit Traktor DJ 2 für iPad und dem neuen S2-Controller.
Fotos: Kensfotos
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