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von Native Instruments

Nvie Motho über seine Arbeit als Musical Director im HipHop

Von RAF Camora zum Soundclash, Nvie Motho koordiniert als Musical Director den Live-Sound großer Rap-Shows. Im Interview erklärt er wie.

Moritz Pirker aka Nvie Motho ist als DJ, Produzent und Musical Director aus der internationalen Live-Musik-Szene mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Vor allem im Deutschrap hinterlässt er aktuell beeindruckende Spuren – nicht nur als DJ von RAF Camora. Pirker studierte in Wien Musik – mit Schwerpunkt auf klassischem Schlagwerk und Jazz-Schlagzeug. Dort traf er auch den Rapper Gerard, produzierte schließlich dessen Debütalbum und kümmerte sich um die Umsetzung der Live-Shows – gemeinsam mit Daniel Schreiber und Fabian Schreiber aka Twintowas an Schlagzeug und Gitarre. Gemeinsam unterstützen die drei RAF Camora seit 2016. Pirker hat für OK Kid, die 187 Strassenbande, Zugezogen Maskulin, Nura uvm. produziert und mit Produzenten und Songwritern wie Woodro Skillson (Chance The Rapper), Fahrenheit (Drake) oder David Sneddon (Lana Del Rey) zusammengearbeitet. Im Fokus seiner Arbeit im Livebereich: der Job als Musical Director. Dabei kümmert er sich um die Live-Umsetzung von HipHop-Shows. Das betrifft sowohl den Sound, als auch das Timing der Visuals, die im Takt zur Musik den Effekt verstärken. Und vor allem auch den Autotune auf den Stimmen der Rapper. Wie das alles zusammen funktioniert, konnte man eindrucksvoll im Dezember 2019 erleben – beim Soundclash „Alle gegen Bausa“ in Stuttgart. In großer Halle koordinierte er den Sound aller Gegnerinnen und Gegner von Bausa. Mit kleiner Band, viel Technik und jeder Menge Fingerspitzengefühl. Wir haben Nvie Motho nach der Show getroffen, uns sein Setup zeigen und seine Vision erklären lassen. Native-Gear spielt im Sound von Nvie Motho eine tragende Rolle.

Moritz, du bezeichnest dich selbst als Musical Director. Wie unterscheidet sich der Job von dem des klassischen Produzenten?

Gerade auch durch mein Musikstudium habe ich eine fundierte Grundlage um den musikalischen Inhalt der aktuellen Songs zu erfassen. Viele Produzenten, vor allem im Rap, können zwar sehr gute Beats bauen, jedoch fehlt oft das theoretische Wissen um dann ein Arrangement für eine Liveband daraus zu erstellen. Das führt bei der Umsetzung natürlich zu Problemen. Wie spiele ich Sample XY auf der Bühne nach? Was ist mit dem Beat? Die Herausforderung ist ja heute, den Studio-Sound auf der Bühne zu reproduzieren, ihn dabei aber auch live klingen zu lassen. Vor allem im Deutschrap gab es eine Phase, in der Rapper plötzlich mit Band spielten – nur noch mit Klavier, Bass und Gitarre. Das klang dann, also würde eine Rockband HipHop machen. Ich suche eigentlich immer nach ähnlichen Sounds. Das vermittelt dem Publikum das Gefühl, nahe dran zu sein am Studio-Sound und dass es eben nicht so klingt, als würde da nur jemand Klavier spielen.

 

Der Sound der Platte ist also eine Referenz für dich. Live soll es aber doch anders klingen.

Genau. Es darf nicht zu perfekt sein, also 1:1. Sonst vergeht der Live-Effekt. Letztendlich ist das eine Interpretationssache. Wie lassen sich Dinge auseinandernehmen? Was kann ich wirklich live spielen und was lasse ich lieber weg oder einfach mitlaufen? Die HiHat-Rolls der 808 sind ein gutes Beispiel. Die lässt man oft lieber mitlaufen, als sie vom Drummer spielen zu lassen.

 

Das heißt, du machst die Notation und suchst auch die Musiker aus?

Wenn es Musiker sind, die in der Musik nicht drinstecken, mache ich es genau so. Bei den beiden Twintowas muss das aber gar nicht sein. Wir arbeiten schon so lange zusammen und sind ein eingespieltes Team. Die beiden (Gitarrist und Schlagzeuger) sind sehr gute Musiker und erarbeiten ihre Parts selber. Wir diskutieren das natürlich im Anschluss, aber das Gefühl stimmt schon.

 

Du hast beim Soundclash die „Gegner“ von Bausa als Musical Director unterstützt – zusammen mit Twintowas. Wollen wir uns ein paar Songs anschauen und anhören?

Klar!

Der technische Aufbau des Soundclash:

In der Stuttgarter Schleyer-Halle waren zwei Bühnen aufgebaut: eine für Bausa und eine für seine Gegner. Beide Seiten hatten ihre eigene Band und Musical Directors, im Falle der Gegner Nvie Motho. Arrangiert wurde in Ableton. Beide Seiten griffen auf Time Code zu für Visuals und Tempi der Tracks, die Setups waren aber nicht verlinkt. Manche Songs wurden auch gemeinsam performt – die eine Hälfte von Bausa die andere Hälfte dann vom Gegner.

Juju & Bausa – Was kostet mich deine Liebe & Vermissen

Hier sieht man ganz gut, wie der Soundclash abgelaufen ist. Bausa fängt an am Rhodes, seine Band übernimmt. Auf der anderen Seite sind Juju und mein Team. In unserem Part spiele ich dann das Rhodes, starte den Track, und die Musiker sind per Klick verbunden. Man kann gut sehen, wie ich gar nicht auf den Laptop achte, das läuft alles über den Controller. Da habe ich alle Sounds drauf. Rhodes, Orgel und alle anderen. Der nächste Clip ist „Vermissen“.

Was war dein persönliches Highlight bei diesem Soundclash?

Mir hat dieser Song mit am besten gefallen – ich mag das Soulige. Hier war das Interface des S88 perfekt, da ich während des Songs zwischen den Sounds switche und dafür nur einen Regler nach rechts schieben und nicht extra an den Laptop muss.

 

Welches KONTAKT-Instrument setzt du hier ein?

Das Rhodes ist aus Scarbee, die Orgel am Ende bei der Gospel-Passage kommt aus Vintage Organs. Super interessant und herausfordernd war auch „99 Luftballons.“

Bausa & Lena – 99 Luftballons

Das ist ja eher eine Cover-Runde – von beiden aus. Ich habe die Version von Lena Meyer-Landrut arrangiert. Geht mit einem Vocoder los.

 

Spielst du den Vocoder live, während sie singt?

Das war hier technisch nicht möglich, bzw. es wäre einfach zu aufwendig gewesen. Ich habe sie während der Proben einmal aufgenommen, den Vocoder-Part gemacht, und sie sang bei der Show dann darauf.

 

Da kam es auf das Timing an.

Genau. Sie hat eine eigene Klick-Spur im Ohr, bei der alle Teile des Songs neu eingezählt werden. Es gibt ja viele Tempiwechsel. Und sie hat auch bei ihren Acapella-Parts auch immer schon Chords dabei, damit sie einen harmonischen Ansatzpunkt hat. Den Afro-Part habe ich extra in ihre Version eingebaut. Damit es noch zeitgemäßer klingt.

Wie funktionieren die Drums?

Für die Drums haben wir alle Sounds gesampelt. Damit man sie jederzeit auch triggern kann. Aber die Claps laufen zum Beispiel einfach mit. Der Drummer spielt hier sein akustisches Set mit zusätzlichen Triggern.

 

Wie läuft das technisch? Werden die Trigger direkt am Fell angebracht?

Ganz genau. Auch hier ging es um die Mischung aus Studio- und Live-Sound. Der Drummer hat Zugriff auf die Samples, kann damit aber live agieren. Und Bausa hat bei der Coverrunde den Song umgetextet.

 

Produziert der selbst?

(Bausas Stelle im Video mit Lena taucht auf und zeigt wie er einen Beat programmiert)

Ja, schon. Es ging beim Soundclash ja auch darum, zu zeigen, wie musikalisch er ist. Deshalb spielt er bei einem Song Rhodes, beim nächsten Gitarre oder macht – wie bei „99 Luftballons“ halt Beats. Ziel war es diese diverse Musikalität aufzuzeigen.

 

Einen DJ gab es doch aber auch.

Das ist DJ Werd. Ein US-Amerikaner, der früher zu Aggro-Berlin-Zeiten mit Sido unterwegs war. Und dann ist da noch Roland Knauf, Drummer von Marteria, und Produzent von Deichkind. Die beiden haben auf Bausas Seite das Musical Directing gemacht. Nani, Bausas eigener DJ war ebenfalls dabei – und noch ein Bassist und Schlagzeuger.

 

Eine Riesenproduktion.

Ziemlich aufwendig, ja. Gerade wenn man bedenkt, dass das ja alles nur einen Tag läuft. Fast ein bisschen schade. Wir mussten unglaublich on time sein und viel proben. Und dann ist alles auch schon wieder vorbei.

 

Wie lange dauerten die Proben?

Der Soundclash war Ende Dezember, wir haben Anfang Oktober angefangen. Die Songs kamen nach und nach rein, und ich habe mit den Vorbereitungen begonnen. Danach hat die Band ein alles eingeprobt. Dann hatten wir fünf Tage mit einigen Künstlern und schließlich zwei Tage vor Ort.

 

Also gar nicht so lang.

Die Vorbereitungen sind das was viel Zeit in Anspruch nimmt. Die meisten Künstler haben auch gar keine Zeit oder Lust auf viel Proberei, manche kamen zur Generalprobe zum ersten Mal dazu. Das bedeutete, dass ich das umso besser vorbereiten musste, damit es bei den Künstlern zu keinen Irritationen kommt und alles direkt on point sitzt. Konkret: Die Songs wurden neu interpretiert, aber nicht komplett umgestellt, damit sie schnell reinkommen und Anknüpfungspunkte finden. Loredana ist ein gutes Bespiel. Den Song „Labyrinth“ haben wir in Richtung Dancehall/Reggae interpretiert. Wir haben die Stems bekommen, die Original-Synths drin gelassen, aber die Drum-Pattern verändert und als Dancehall-Beat laufen lassen – mit den Original-Kick- und HiHat-Sounds. Dazu kamen an der Orgel noch ein paar Akkorde von mir, den Refrain mit Gitarre etwas fetter gemacht und einen alternativen Breakdownpart in der Bridge.

Summer Cem – Tamam Tamam

Bausa hatte seinen Song mit einem Bossa-Nova-Orchester neu eingespielt. Und Summer Cem seinen Part einmal auf Deutsch und dann in der zweiten Strophe auf Türkisch gemacht. Die Aufgabe war, das orientalische stärker herauszustellen. Ich habe Darabuka-Rhythmen aufgenommen und live einen Ney-Flöten-Sound aus der Middle East Library von NI gespielt.

 

Bei diesem Battle habt ihr also angefangen.

Ja. Erst ist die Flöte leicht im Hintergrund, dann spiele ich sie nochmal eine Oktave höher, da hört man es besser.

Nvie Mothos Setup besteht aus zwei KOMPLETE KONTROL-Keyboards, mit denen er sowohl KONTAKT-Instrumente spielt als auch Ableton Live steuert. Außerdem verwendet er eine MASCHINE, über die er Effekte und Drums beisteuert. Der Sync wird über den Laptop geregelt. Es laufen zwei Rechner parallel – ein Main und ein Backup. Ein dritter ist für die VST-Plugins zuständig.

Ich habe hier einen Kanal für die Drums, einen für den Bass, einen für Synths, einen für Effekte und andere Sounds und schließlich noch einen für den Klick. Immer benannt nach den jeweiligen Songs. Oft kommt dann auch noch Time Code dazu, weil die Visuals ja auch getimt werden müssen. All das gebe ich dann an die Band raus. Sowohl den Klick als auch die Sounds. Hier sieht man gut die einzelnen Stems, die ich mir im Vorfeld gebaut und arrangiert habe.

 

Und die startest und stoppst du per Controller?

Richtig. Auf dem Controller funktioniert das genau so wie im Rechner. Das ist ja das Praktische – dass ich mir das genauso hinlegen kann. Und ich habe immer ein Backup. Sollte mal etwas ausfallen, kann ich schnell umschalten. Die Show muss ja weiterlaufen. Zwei Rechner laufen im Parallel-Betrieb – auf zwei Soundkarten. Der Sync läuft dabei nicht über Ableton Link, sondern über den Controller. Wenn ich also auf „Play“ drücke am Controller, laufen beide Rechner los. Über einen dritten Laptop spiele ich die NI Keyboards und Controller. Das ist auch deshalb eine gute Idee, weil ein VST ja mal hängenbleiben kann.

Über was für ein System schickst du das an die Visuals?

Das ist nur ein Audiofile, ein Time-Code-Signal, das vorher programmierte Events triggert.

 

Du kümmerst dich also auch um viele „administrative“ Dinge.

Sagen wir so: Als HipHop DJ musst du heute mehr können als nur aufzulegen. Die Administration hinter so einer Show ist schon sehr techniklastig. Es läuft eben alles auf meinen Rechnern zusammen, das lässt sich nicht so richtig verteilen auf andere Leute. Ich mache nochmal ein Projekt von der RAF Camora und Bonez MC – Tour auf. Da sieht man sehr gut die Autotune-Automationen. Die laufen auch über mich. Dafür habe ich extra Automations-Kanäle, die dann auf der Konsole landen. Die Parts sind eingezeichnet. Ich kann immer genau sehen, was ein Rap ist, wo der Refrain losgeht und das Autotune anspringt. Die Tonhöhe lege ich hier auch fest. Manche Deutsch-Rapper sind mit einem Techniker unterwegs, der sich nur um Autotune kümmert – der macht das dann an den passenden Stellen an und aus. Ich habe das hier automatisiert – mit einer MIDI-Bridge. Es gibt dafür einfach noch keine verlässliche Software-Lösung, deshalb muss man sich selber helfen. Das sollte mal entwickelt werden. Ich bekomme diese Frage immer öfter: Wie machst du das mit Autotune?

 

Bleiben wir dabei: Schickst du die Stimme da komplett „wet“ durch oder eher 50/50?

Das ist bei jedem Artist unterschiedlich. Die nutzen den Effekt alle anders, ohne zu experimentieren geht es nicht. „Presets“ sind schwierig, was bei einem gut klingt, kann beim nächsten voll und ganz unangebracht sein. Das hängt auch mit ihrer Performance zusammen, wie sie sich am Mikro verhalten. Bei so einem Soundclash merke ich das besonders: Mit vielen Künstlern arbeite ich ja zum ersten Mal überhaupt. Bisher waren aber alle zufrieden (lacht). Ich finde es auch wichtig, sich mit Autotune auseinanderzusetzen. Das ist schon eines der größten Themen überhaupt in der Live-Musik zur Zeit, ganz egal in welchem Genre.

 

Titelfoto von Estefania de la Chica

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